Die SPD und die grüne Suppe #2
von Tanja Bauder-Wöhr
Im Herbst dieses Jahres sollen wichtige Entscheidungen bezüglich der Marburger Altenhilfe, vor allem was das Altenwohnheim in der Sudetenstraße/Richtsberg angeht, getroffen werden. Die Marburger CDU hat es mit einem Antrag zu diesem Thema in der letzten Stadtverordnetenversammlung geschafft, eine überfällige Diskussion hierzu anzustoßen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Das Onlinemagazin „das Marburger“ fasst zusammen: „Die Sanierung, Modernisierung und der Umbau des Altenzentrums würden 18,5 Millionen Euro erfordern. Hinzu kommen 2,5 Millionen finanzielle Altlasten der Liegenschaft, wie Vaupel in der Sitzung mitteilte. Zugleich will Rot-Grün keine Senioreneinrichtung mit 80 Pflegeplätzen mehr am Richtsberg, worin allgemeinhin die Wirtschaftlickeitsgrenze nach unten gesehen wird.“ Und kommentiert: „Die Zukunft der Marburger Altenhilfe ist ungelöst und auf dem Richtsberg muss etwas geschehen. Fraglich ist, wie der Oberbürgermeister und Rot-Grün vorankommen wollen. Ihre Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung, SPD-intern mühsam mit dem Knüppel der Fraktionsdisziplin durchgesetzt, hilft bei alledem nicht weiter.“
Tatsächlich ist das Ergebnis der Marburger Regierungskoalition auf diesem Gebiet niederschmetternd: die Koalition, bestehend aus SPD und Grünen, kann sich in dieser Frage nicht einigen. Bereits vor fünf Jahren schien die Koalition daran zu zerbrechen. Immer noch müssen die Falschen jedoch dieses Gezerre ausbaden, was nach über fünf Jahren schlicht an die Substanz des Richtberger Altenwohnheims, ihrer Bewohner_innen und Mitarbeiter_innen geht. Diese miserable Bilanz zu überdecken versuchend legte Oberbürgermeister Egon Vaupel am Freitagabend, während seiner Rede in der Stadtverordnetenversammlung, ein „Handout“ vor, welches die zukünftige Fahrtrichtung skizzieren sollte. Aber außer ein paar Zahlen und vor allem vielen Hochglanzbildern enthielt es nicht viel, weshalb ich dazu in meinem nun folgenden Redebeitrag auch nur kurz Stellung nahm:
„Für den heutigen Abend hatte ich mir eigentlich zum Ziel gesetzt, mehrheitlich nett zu sein. Nach Ihrem Beitrag jedoch, Herr Vaupel, und dem vorgelegten Handout erlauben Sie mir bitte diese Spitze:
Wie oft mussten wir Linken uns in der Vergangenheit mit viel Häme etwas zu Fünfjahrplänen anhören! Wenn man aber dieses Papier hier, Ihre Arbeit der letzten fünf Jahre, bewerten soll, kann ich Ihnen nur sagen, dass dieser Fünfjahrplan gescheitert ist!
Nun will ich mich aber erst einmal bei der Marburger CDU bedanken, die das Anliegen, den Hilferuf des Betriebsrats Marburger Altenhilfe, aufgegriffen hat und in den heute zu verabschiedenden Antrag einbrachte. Ohne diese Initiative gäbe es die längst überfällige Debatte nicht! Der Betriebsrat hat sich Anfang des Jahres mit einem Schreiben an alle
Fraktionen gewandt und alle Fraktionen eingeladen, mit ihm ins Gespräch zu kommen und sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Auch unsere Fraktion ist dieser freundlichen Einladung gefolgt. Weshalb wir inhaltlich den Antrag der CDU unterstützen, ebenso wie dies im übrigen auch der Ortsbeirat Richtsberg einstimmig sowie der Senior_innenbeirat der Stadt Marburg tut.
Nun kommen wir nochmals zu Ihnen, werter Herr Oberbürgermeister Egon Vaupel. Von dieser Stelle aus erklärten Sie mir einmal, dass, wenn Sie auf mich auf dem Sportplatz träfen, man eine aufgeschlossene, sympathische Frau erlebe, mit der man vernünftig diskutieren könne. Dies ändere sich allerdings schlagartig, sobald ich in der Stadtverordnetenversammlung am Rednerpult stehe. Diesen Ball möchte ich Ihnen gern zurückspielen, denn wenn ich Sie Ihrerseits auf den Marburgern Sport-plätzen erlebe – oder aber auch hier in der Stadtverordnetenversammlung, erlebe ich meistens einen aufgeschlossenen, sympathischen Mann, der ein Gespür für die Anliegen seiner Stadtbevölkerung hat – der auch mal auf sein am richtigen Fleck schlagendes Herz hört. Aber, entschuldigen Sie, wenn ich es nun so direkt sage, als Sie hier vor zwei Monaten in einem völlig überfüllten Sitzungssaal zu uns und den vielen Beschäftigten, sowie Bewohner_innen und deren Angehörigen der Marburger Altenhilfe redeten, war ich gelinde gesagt entsetzt. Denn was war da von Ihnen zu hören? Zum einen die plumpe Androhung gegenüber Ihren Genoss_innen der SPD, welche sich in der Öffentlichkeit für den Erhalt des Richtsberger Altenwohnheims einsetzten, im Falle von „Abweichlertum“ bei Ihnen in die Nachhilfe gehen zu müssen. Vermutlich müsste dann der gesamte Betriebsrat der Marburger Altenhilfe bei Ihnen ebenfalls aufs Strafbänkchen. Aber damit nicht genug! Ist doch einer Ihrer Lösungsvorschläge ausgerechnet auch noch, die zukünftigen Bewohner_innen der Altenhilfe selbst entscheiden zu lassen, von wem sie die pflegerischen Leistungen in Anspruch nehmen wollen.
Wenn es ein privates Unternehmen sein soll, müsse dies akzeptiert werden. Ausgerechnet ein gestandener Sozialdemokrat sagt so etwas, als wüssten Sie nicht genau, nach welchen finanziellen Kriterien entschieden wird! Als müssten viele Menschen, die dann privaten Betreibern ausgesetzt sein sollen, nicht ohnehin zweimal das Eineurostück im Geldbeutel umdrehen. Sie wissen doch ganz genau, wie der gesamtgesellschaftliche Durchschnittsverdienst aussieht. Es ist eben keine Entscheidung, die man frei trifft, sondern eine, die an den objektiven Eigentumsverhältnissen gemessen wird. Und dass die privaten Anbieter auf dem Markt ihre Mitarbeiter_innen wesentlich schlechter entlohnen, ist auch kein Geheimnis mehr. Aber dazu muss man vielleicht ein paar allgemeine Fragen voranstellen:
nämlich was ist uns allen heute die Betreuung und Pflege unserer Väter und Großmütter wert? Die Antwort darauf ist schnell gefunden: viel zu wenig! Wie sieht es mit der Wertschätzung der Mitarbeiter_inne und vor allem ihrer Entlohnung aus? Das kann man ohnehin gar nicht mit Geld aufwiegen, und das, was gezahlt wird, ist bei weitem nicht aus-
reichend! Und eben diese Berufsgruppe selbst kann bei einer solchen Entlohnung im Sinne Ihrer Oberbürgermeisterlogik nicht für die eigene Altersvorsorge sorgen! Dazu reicht der Lohn hinten und vorne nicht! Das sind doch eben die ursprünglichen Themen der Sozialdemokratie, für die Eure und unsere Großeltern eingetreten sind! An dieser Stelle möchte ich mich deshalb ausdrücklich für den Mut der Genoss_innen der SPD bedanken, die trotz des Drucks in der Öffentlichkeit für ihre Überzeugungen eingestanden sind! Danke dafür! Und lasst Euch gesagt sein, Ihr seid Sympathieträger, und die Menschen, welche unter anderem am Richtsberg leben, wissen das zu schätzen! An die SPD sei deshalb die Bitte gerichtet: Hört endlich auf, Eure eigenen Genossinnen vom Richtsberg, die großes Ansehen genießen, zu demontieren! Seid doch in dieser Fra-
ge endlich auch mal mutig und stützt sie! Macht eine Rolle vorwärts und seid wieder bei Euren eigenen Wurzeln! Zudem tragt auch Ihr Verantwortung, was die oft beschworen Politikverdrossenheit angeht! Es würde Euch nicht schaden, bei eurer komfortablen Mehrheit auch Gegenstimmen aus den eigenen Reihen zu zulassen, was ohnehin jeder
weiß! An dieser Stelle sei, Max Reimann sei Dank, an unser Grundgesetz Artikel 38 erinnert. Demnach sind die Abgeordneten ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet.
Natürlich gilt der Dank auch den Betriebsrät_innen, den Mitarbeiter_innen der Marburger Altenhilfe. Es gerade Eurer Arbeit zu verdanken, dass die Bewohner_innen durch Euren unermüdlichen Einsatz betreut werden! Oft geht ihr dabei weit über eure eigenen psychischen wie physischen Grenzen hinaus! Und der Dank der Stadtpolitik? Die Grünen
beispielsweise überlegen, mehr ehrenamtliches Engagement oder das Schaffen von 400€ Jobs, wie bitte? Geht’s noch? Kennt Ihr die Affen, die drei bekannten: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen – bei Missständen. Dabei müsste gerade hier wieder über eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung nachgedacht werden! Über eine prekäre Altersversorgung. Hier kann doch die Antwort nicht wirklich lauten: jeder ist sich selbst der Nächste. Was ist mit der sozialen Verantwortung? Völlig vergessen? Und hört auf, von Luftschlössern zu Reden! Wo ist das im Koalitionsvertrag vereinbarte alternative Pflegewohnheim am Germanenplatz? Die meisten Vorstöße gehen von Initiativgruppen in Marburg aus: sei es „Leben im Alter“ oder dem „Verein Gemeinschaftlich Wohnen in Marburg“.
Und zum Schluss gilt der Dank natürlich auch den Bewohner_innen selbst, die einmal mehr solidarisch und kämpferisch hinter ihrem Betriebsrat, hinter ihren Mitarbeiter_innen stehen! Ihr macht Mut! Zeigt, dass solidarisches Kämpfen noch möglich und erfolgreich sein kann. Auf die Eingabe einer Bewohnerin des Altenheims Richtsberg im Sozialausschuss, die sagte: „für euch sind wir doch nur eine Nummer“ – kann ich nur erwidern: Nein! Wenn schon eine Nummer, dann eine ganz große! Es ist wirklich großartig, wie Ihr Euch einbringt, Euren Mitarbeitern den Rücken stärkt! Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren, und für mich seid ihr alle Gewinner!
Deshalb möchte ich abschließend zwei konkrete Vorschläge unterbreiten: (1) Bevor Sie, Herr Oberbürgermeister Vaupel, wieder die Sanierung des Altenheims Richtsberg als zu teuer berechnen, befragen Sie hierzu bitte den ehemaligen Sozialplaner der Stadt Marburg, Burkhard Neuer, der seiner Zeit gemeinsam mit dem Stadtplaner Friedhelm
Fichtner, für die Oberstadtsanierung verantwortlich war. (2) Falls Sie das nicht wollen, lassen Sie uns gemeinsam einen Spendenlauf organisieren – unter dem Motto: Nach fünf Jahren endlich laufend ins Ziel.“
Stadtinfo #30